Tumor Liquid Biopsy oder auch Diagnose von Krebs auf Basis von Blutinformationen

Klassischerweise wird ein Tumor über eine Biopsie, also eine kleine Gewebeentnahme, analysiert.

Es gibt zurzeit intensive Forschungen, bezüglich der im Blut direkt und indirekt zirkulierenden Informationen und ob bzw. inwiefern diese entsprechenden Aufschluss über ein lokales Geschehen  geben könnten. Dieses Forschungsgebiet heißt: Tumor Liquid Biopsy.

 

Im Blut findet der Mediziner hilfreiche Informationen (vgl. auch Blutbild Laborwerte verstehen) wie z.B. Blutzucker- oder HbA1c-Werte, Lipidwerte, Entzündungsmarker sowie mehr oder weniger spezifische Biomarker für die Tumordiagnostik (Beispiel: prostataspezifisches Antigen, CA 19-9,  CA 15-3 etc.). Zusätzlich findet man aber auch freie, ins Blut abgegebene DNA oder sich in Makrophagen (Fresszellen) befindliches Material diverser Zellen in unterschiedlichen Mengen. Die Analyse dieser DNA birgt weitere, wichtige Informationen. Bei Schwangeren steigt die DNA-Menge an und der Fetus gibt zudem Nukleinsäuren ins Blut ab, daher werden in der Pränataldiagnostik schon länger Informationen daraus gewonnen, da so ein invasiver Eingriff am Fetus umgangen werden kann.

 

Auch bei (Tumor-)Erkrankungen steigt die Menge an. Tumorzellen geben aktiv oder infolge von Apoptose beziehungsweise Nekrose DNA in die Umgebung ab. Diese DNA beinhaltet auch die entscheidenden Mutationen oder epigenetischen Veränderungen des Tumorgewebes. Zusätzlich finden sich im Blut zirkulierende Tumorzellen und Exosomen.

Kein Wunder, dass findige Forscher auf das Gebiet der Tumor Liquid Biopsy gekommen sind.

Die Vorteile wären u.a. dass keine Proben (klassische Biopsie) entnommen werden müssten, ein Bluttest würde reichen, mögliche Verbreitung der Tumorzellen durch den mechanischen Eingriff in das betroffene Gewebe wird verhindert. Auch die Entdeckung eines Tumors wäre sehr viel einfacher und ggf. deutlich früher möglich. Zudem kann die Untersuchung häufiger durchgeführt und Behandlungserfolge besser nachvollzogen werden.

Auch gewänne man Informationen über die Genotypen der Tumorzellen und eventuell auftretenden, ggf. zu Resistenzen führenden Mutationen. Diese Infos würden eine ggf. notwendige Umstellung der Therapie für optimalen Behandlungserfolg (rechtzeitig) aufzeigen und ermöglichen.

 

Es gibt bereits spezielle Kits, mit deren Hilfe recht einfach eine ausreichende und reproduzierbare Menge DNA aus dem (Blut-)Plasma gewonnen werden kann. Das größere Problem in der praktischen Anwendung ist jedoch die „interessante“ Tumor-DNA (ctDNA) von der restlichen Masse zu trennen, die Tumor-DNA macht gerade einmal ein Prozent der zirkulierenden Gesamt-DNA-Masse aus. Und je nach Tumortyp liegen Deletionen, Mutationen, Amplifikationen von Genen, epigenetische Modifikationen oder chromosomale Veränderungen vor, die nachgewiesen werden sollen. Das ist eine Aufgabe für die Forschung.

 

Professor Dr. Maximilian Diehn (Stanford University) und seine Mitarbeiter haben dafür das CAPP-Seq (Cancer Personalized Profiling by Deep Sequen­cing) Verfahren entwickelt. Sie suchten charakteristische Mutationen bei Patienten mit nicht kleinzelligen Lungentumoren. Dann entwickelten sie Oligonukleotide, die an die charakteristischen Regionen binden, um diese amplifizieren und sequenzieren zu können. So konnten sie extrem geringe DNA-Mengen auf eine Vielzahl an Mutationen analysieren. Ergebnis/Testvalidierung: Richtig identifiziert wurden alle Patienten mit nicht kleinzelligem Lungenkrebs in Krankheitsstadium 2 und höher sowie 50 Prozent der Patienten in Stadium 1 (»Nature Medicine«, DOI: 10.1038/nm.3519).

 

Andere Forschungsgruppen zeigten auf, dass eine größere ctDNA Menge und eine stärkere Fragmentierung der zirkulierenden DNA eine schlechte Prognose der Tumorerkrankung anzeigt. Für Kolonkarzinom-Patienten (Dickdarmkrebs) konnte im direkten Vergleich zwischen Biopsie- und Blutanalysen gezeigt werden, dass in der ctDNA deutlich mehr KRAS- und BRAF-Mutationen detektiert wurden, die für eine Resistenz gegenüber einer Cetuximab-Therapie verantwortlich sind. Nach Aussetzen einer entsprechenden Cetuximab-Therapie verschwanden die resistenten Zellklone in den Verlaufskontrollen der Patienten und damit auch die mutierte ctDNA. Das deutet darauf hin, dass über ein Aussetzen der EGFR-Blockade-Therapie der Tumor wieder sensitiv für den Antikörper wird.

 

Zirkulierende Vesikel

Im Blut von Tumorpatienten wurden wie bereits angedeutet neben der besagten DNA auch größere Mengen sogenannter Exosomen (kleinere) und Ektosomen (größere) entdeckt, das sind membranumhüllte Vesikel, die von Zellen (und eben auch gerade von Tumorzellen) abgeschnürt werden und neben Proteinen und Lipiden DNA, rRNA, mRNA und miRNA enthalten. Auch hier wurde erforscht, in wie weit diese als Biomarker taugen. Sie können als Transportsystem zwischen verschiedenen Zellen fungieren und somit gegebenenfalls gesunde Zellen mit Eigenschaften der Tumorzellen ausstatten, also im Extremfall an anderen Stellen Metastasen bilden.

Auch hier beginnt das Problem bei der Analyse mit der Isolation der Vesikel  aus dem Blut. Dann folgt die weitergehende Charakterisierung der Exosomen (sie kommen in relativ größeren Mengen im Blut vor und sind auch bei unterschiedlichen Legerbedingungen recht stabil. Es konnten bei verschiedenen Tumorarten exosomale Besonderheiten identifiziert werden.

Ein Beispiel: Exosomen von Patientinnen mit einem Ovarialkarzinom enthalten deutlich mehr TGFβ1, MAGE3/6 und Claudin 4 sowie bestimmte miRNA-Moleküle als die von Vergleichsgruppen. Auf dieser Basis könnte ein Ovarialkarzinom frühzeitig entdeckt und auch der Therapieverlauf verfolgt werden, denn scheinbar verringert sich der Proteingehalt der Exosomen bei erfolgreicher Chemotherapie.

 

Und so wird weiter geforscht

Die Tumor Liquid Biopsy wird auch auf die Analyse weiterer Körperflüssigkeiten wie Speichel oder Urin und sogar auf Stuhlproben ausgeweitet. Hier stehen die Forscher noch am Anfang,  es wird noch einige Zeit brauchen, ehe diese Methoden in die Routine-Tumordiagnostik aufgenommen werden können. Die Forschung bietet noch einiges Potential.

Welche der Methoden nun die beste ist? Das kommt darauf an! Es ist vom Tumortyp und vom Patienten abhängig und kann, wie so oft, nicht pauschal beantwortet werden.

Wir dürfen auf weitere Ergebnisse auf diesem Forschungsgebiet gespannt sein, denn die oben genannten Vorteile gegenüber der klassischen Biopsie sind gewaltig.

 

Quelle:
Pharmazeutische Zeitung, 49/2015, S.34ff