Perfektionismus – Alles muss perfekt sein

Vorbildlich und fehlerfrei. Ein hoher Anspruch an sich selbst gilt oft als Voraussetzung für gute Leistung. Doch Perfektionismus kann auch krank machen.

Welche Folgen übertriebener Ehrgeiz womöglich hat, das erklärt im Interview Dr. Steffen Häfner, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Ärztlicher Direktor der Klinik am schönen Moos in Bad Saulgau.

Herr Dr. Häfner, Perfektionismus empfinden viele von uns als erstrebenswert. Doch er ist nicht per se positiv. Wann wird er zur problematischen Eigenschaft?

Zum einen gibt es den sogenannten funktionalen Perfektionismus, der uns motiviert und zur Produktivität antreibt. Wenn dabei ein Fehler passiert, dann sagen wir „Schwamm drüber“ und lernen aus der Sache. Das ist der große Unterschied zum dysfunktionalen Perfektionismus, bei dem wir uns selbst nicht den kleinsten Patzer erlauben. Bei vielen Betroffenen wird dabei eine kritische innere Stimme laut, die meist durch eine frühkindliche Prägung entstanden ist. Mit einem strengen Elternhaus und einer autoritären Erziehung eignen wir uns womöglich diese überzogene Strebsamkeit an, die uns nicht mehr guttut. Dann setzen wir uns selbst so hohe Standards, die gar nicht zu erreichen sind. So entsteht Frust, das Selbstwertgefühl leidet darunter, und der Druck, vollkommen zu sein, wird immer größer.

Wie wirkt sich starker Perfektionismus auf den Alltag aus?

Ein häufiges Warnzeichen ist, dass Betroffene ihre Aufgaben kaum abschließen können. Sie werden also nicht oder erst auf den letzten Drücker fertig, weil sie ihre Arbeit nie als gut genug empfinden. Noch dazu fällt es extremen Perfektionisten schwer, Entscheidungen zu treffen, aus Angst vor einem fatalen Fehler. Mitunter verfallen sie in Prokrastination, das heißt, sie schieben wichtige Angelegenheiten auf die lange Bank, oder meiden gewisse Situationen vollständig. Langfristig können sich daraus psychische Probleme wie Angststörungen oder Depressionen entwickeln.

Viele Menschen denken bei Perfektionismus überhaupt nicht an Prokrastination, also an Aufschieberitis. Wie passen diese beiden Phänomene dennoch zusammen?

Das verstehe ich, dass diese beiden Phänomene auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen. Man könnte meinen, mit einer Hypergenauigkeit erledige ich meine Aufgaben immer pünktlich. Doch genau dieser übertriebene Ehrgeiz ist der Knackpunkt. Viele Perfektionisten zögern Erledigungen hinaus, weil sie bangen, nicht die optimale Lösung zu finden. Die Befürchtung, etwas unvollkommen abzuliefern, blockiert sie derart, dass sie gar nicht erst anfangen. Dahinter steckt eine große Versagensangst. Um dieses beklemmende Gefühl zu vermeiden, gehen Betroffene der Sache lieber ganz aus dem Weg. Eine paradoxe Situation.

Gibt es auch körperliche Symptome, die durch Perfektionismus entstehen?

Psychischer Druck wirkt sich ganz klar auf den Körper aus. Perfektionisten sind oft innerlich angespannt, was nicht selten zu Kopfschmerzen oder Schlafstörungen führt. Langfristig kann chronischer Stress sogar das Immunsystem schwächen und Herz-Kreislauf-Probleme begünstigen. Übertriebener Perfektionismus ist also keinesfalls gesund.

„Ein Erfolgstagebuch zu führen und zeitliche Limits zu setzen, sind gute Maßnahmen, damit Perfektionismus nicht überhandnimmt.“

Welche Möglichkeiten gibt es, mit Perfektionismus besser umzugehen, damit wir uns selbst dabei weniger schaden?

Der erste Schritt ist, sich bewusst zu machen, dass Perfektionismus kein grundsätzlich guter Anspruch ist. Vielmehr sollte es darum gehen, realistische Ziele zu setzen und sich selbst zu erlauben, Fehler machen zu dürfen. Einfach mal Fünfe gerade sein lassen – das ist wichtig für die innere Balance. Ist der Leidensdruck allerdings sehr hoch, sollten Betroffene professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Psychotherapeuten und psychosomatische Kliniken können helfen, diese innere kritische Instanz zu zähmen und eine gesündere Selbstwahrnehmung zu entwickeln. Eine wichtige Technik in der Therapie ist dabei das „Gut-genug-Denken“. Dies bedeutet, dass wir eine Aufgabe auch dann als erfolgreich abgeschlossen betrachten dürfen, wenn wir sie vielleicht nicht perfekt, aber einfach gut genug bewältigt haben. Um der ständigen Überarbeitung entgegenzuwirken, sollten wir uns bewusst zeitliche Limits bei Aufgaben setzen. Noch dazu kann ein Erfolgstagebuch ebenfalls dabei unterstützen, den Fokus weg von vermeintlichen Fehlern zu lenken und hin zu unserer Produktivität und der Menge, was wir alles schon geschafft haben.

Mehr Informationen: www.klinik-a-s-moos.de


Psychotest: BIN ICH ÜBERMÄSSIG PERFEKTIONISTISCH?

Beantworten Sie folgende Aussagen spontan mit Ja oder Nein:

  • Mit meiner Arbeit bin ich selten zufrieden. [ JA | NEIN ]
  • Über kleine Fehler, die anderen nicht einmal auffallen, ärgere ich mich sehr lange. [ JA | NEIN ]
  • Ich frage mich oft, was andere wohl über mich denken. [ JA | NEIN ]
  • Ich fühle mich schnell gestresst, wenn etwas nicht nach Plan läuft. [ JA | NEIN ]
  • Manche Aufgaben schiebe ich auf, weil ich perfekt darauf vorbereitet sein möchte. [ JA | NEIN ]
  • Wichtige Dinge kontrolliere ich lieber drei Mal – sicher ist sicher. [ JA | NEIN ]
  • Komplimente kann ich nur schwer annehmen, weil ich denke, sie nicht verdient zu haben. [ JA | NEIN ]
  • Nach Hilfe zu fragen, fällt mir schwer. Ich möchte es allein schaffen. [ JA | NEIN ]
  • Kritik an meiner Arbeit bereitet mir oft schlaflose Nächte. [ JA | NEIN ]
  • Ich bin der Meinung: Wenn ich etwas nicht perfekt mache, lasse ich es lieber ganz bleiben. [ JA | NEIN ]
  • Entscheidungen fallen mir schwer – aus Angst, die falsche Wahl zu treffen. [ JA | NEIN ]
  • Ich mache erst eine Pause, wenn ich alles erledigt habe. [ JA | NEIN ]
AUSWERTUNG (hier klicken)

0–3 Ja-Antworten: Alles im grünen Bereich. Sie haben hohe Ansprüche an sich selbst, aber auch einen gesunden Umgang damit.

4–7 Ja-Antworten: Achtung, Ihr innerer Kritiker ist sehr laut. Versuchen Sie, sich etwas weniger unter Druck zu setzen.

8–12 Ja-Antworten: Sie müssen nicht 150-prozentig korrekt in Ihrem Tun sein. 90 Prozent sind gut genug und nah an der Perfektion. Wenn Sie unter Ihrem Perfektionismus leiden, dann suchen Sie sich lieber psychotherapeutische Unterstützung.

Sprechen Sie uns gern auf das Thema an und lassen Sie sich von uns ganz individuell beraten.

Text mit freundlicher Genehmigung der S & D Verlag GmbH. Das komplette “Naturheilkunde & Gesundheit” Heft bekommen Sie auch bei uns in der Apotheke.