Ayurveda – Den Winter spüren

Wenn die Natur eine Pause macht, dürfen auch wir ruhen. Laut Ayurveda („Ayurveda, was ist das?“) ist der Januar eine Zeit zum Kräftesammeln.

Ayurveda-Expertin Kerstin Rosenberg, Leiterin und Dozentin der Europäischen Akademie für Ayurveda in Birstein, ermuntert dazu, den Winter an Körper und Seele heranzulassen. Mit all seinen Facetten: dem Bedürfnis nach Ruhe und Hunger auf Deftiges.

Frau Rosenberg, ist der Winter im Ayurveda überhaupt ein Thema?

Definitiv. Auch in Indien, der Heimat der ayurvedischen Lehre, gibt es eine Winterzeit. Die Temperaturen unterscheiden sich natürlich entsprechend der Region von denen in Europa, aber der klimatische Rhythmus der Jahreszeiten ist vergleichbar. Entsprechend fühlen sich Menschen in Indien im Januar ähnlich wie wir hier, die Anfälligkeit für Erkrankungen steigt hier wie dort. Es ist also durchaus sinnvoll, die ayurvedische Philosophie auf unseren Winter zu übertragen.

Was bedeutet der Winter aus ayurvedischer Sicht?

Der Winter ist eine Zeit für Stabilität. Wir dürfen und sollten jetzt für Ruhe und Beständigkeit sorgen. Ein gewisser „Winterschlaf“ gibt Körper und Geist die Gelegenheit, sich zu stabilisieren und neue Kräfte zu sammeln. Das bedeutet nicht, alles schleifen zu lassen und gar nichts mehr zu tun. Es heißt lediglich: Jetzt ist nicht die Zeit für intensive Aktivitäten und große Veränderungen. Denn im Winter sinkt unser Energielevel automatisch.

Was passiert im Körper?

Im Winter fährt der Stoffwechsel runter, viele Prozesse im Körper laufen verlangsamt ab. Der Körper befindet sich in einer Phase, in der er keine Höchstleistungen erbringen kann. Er konzentriert sich auf die grundlegenden Funktionen, braucht mehr Schlaf und Ruhe. Das spüren wir: Statt draußen aktiv zu sein, möchten wir uns gemütlich einkuscheln und wärmen. Gleichzeitig sind einzelne Bereiche in dieser Zeit belastbarer, etwa die Verdauung. Wir merken das daran, dass wir mehr Hunger haben als im Sommer und der Appetit auf schwere, deftige Speisen steigt.

Was bedeutet das für die Ernährung?

Genau wie das wachsende Bedürfnis nach Ruhe sollten wir das gesteigerte Verlangen nach mehr Kalorien und herzhaften Lebensmitteln zulassen. Wir brauchen eher gut sättigende, nährende Speisen als Vitalstoffe, daher sind zu viel Rohkost und leichte Salate im Winter nicht empfehlenswert. Generell sind kalte Speisen und Getränke jetzt zu vermeiden. Stattdessen dürfen wir genießen ohne schlechtes Gewissen. Ein guter Grundstein sind kräftigende Nahrungsmittel wie Suppen und Eintöpfe, durchaus auch tierische Lebensmittel wie Fleisch, Milch und Fisch. Ein Klassiker der indischen Küche ist Ghee, geklärte Butter. Dieses reine Butterfett hat in der ayurvedischen Heilkunde eine besondere Bedeutung. Wenn wir uns auf die traditionelle deutsche Winterküche besinnen, finden wir dort genau die Zutaten und Gerichte, die uns jetzt guttun: Nüsse, Hülsenfrüchte, Wurzelgemüse sowie Kohl und Kartoffeln. Bei der Zubereitung dürfen reichlich Fett, Sahne und Brühe dazu. In Kochbüchern früherer Generationen findet sich viel Fermentiertes und Eingekochtes, vergleichbar mit den indischen Chutneys. Auch die Gewürze erinnern an die indische Küche: wärmender Zimt, immunstärkender Ingwer, kräftige Nelken, Lorbeer und Muskat.

Also keine Diäten im Januar?

Nein, jetzt ist naturgemäß die falsche Zeit für Diäten oder Detoxkuren. Solche Vorhaben gehören in den Frühling. Dann kurbeln die länger werdenden Tage und ansteigenden Temperaturen auch den Stoffwechsel an, neue Energien sind spürbar. Ab Ende Februar haben sämtliche Vorsätze rund um innere Reinigung und Neuanfang deutlich bessere Aussichten auf Erfolg. Unser moderner Lebensstil lässt uns oft glauben, wir müssten zu allen Zeiten gleich aktiv sein, immer gleich gesund essen, immer sportlich sein. Diese Sichtweise lässt uns keinen Raum für eine Ruhepause, dabei benötigen wir diese dringend. Im Januar brauchen wir unsere Reserven zum Schutz gegen die Kälte und drohende Infekte. Wenn wir nach draußen schauen, sehen wir das beste Vorbild in der Natur: im Winter ruhig bleiben, im Frühling wieder durchstarten.

Was ändert sich auf mentaler Ebene?

Aus Ayurveda-Sicht ist der Januar eine besinnliche Phase vor dem Neustart im Frühling, eine Art kreativer Müßiggang. Jetzt ist Zeit, mit Altem abzuschließen, sich das Wesentliche ins Gedächtnis zu rufen und Platz für Neues zu schaffen. Eine Zeit, in aller Ruhe Pläne zu schmieden und Visionen zu entwickeln. Geduld ist gefragt: Wir bereiten nur vor, die Umsetzung erfolgt erst im Frühjahr. Leider neigen wir in dieser dunklen Jahreszeit zu schwankenden Gefühlen und Grübeleien. Hier gilt es, die Energie vermehrt in eine positive Einstellung zu bündeln und sich auf neue Ziele zu fokussieren. Kräuter wie Ashwagandha, der Indische Ginseng, helfen dabei.

Wir schärfen jetzt also unsere Sinne?

Ja, jetzt gelingt es uns besonders gut, eigene Wünsche zu erkennen und persönlichen Bedürfnissen auf die Spur zu kommen. Aus ayurvedischer Sicht ist der Januar überhaupt die perfekte Zeit für sinnliche Stunden. Mit einem Gläschen Wein und ausreichend Zeit für Kuscheleinheiten und die Liebe schaffen wir einen erwärmenden Gegenpol zur ungemütlichen Kälte draußen. Meditieren gelingt jetzt übrigens auch besonders gut.

Welche Tipps haben Sie gegen Fröstelgefühle und Erkältungswelle?

Gewürztee mit Zimt, Nelken, Ingwer und Süßholz wärmt und kräftigt das Immunsystem. Eine meiner Lieblingszutaten gegen Kälte und drohende Infekte ist Pippalipfeffer, auch Langer Pfeffer genannt. Hierzulande eher in der Gourmetküche bekannt, gilt das scharfe Gewürz im Ayurveda als immunstärkend und schleimlösend. Zudem kurbelt der besondere Pfeffer den Fettstoffwechsel an und unterstützt so die Verdauung von deftigen Wintergerichten. Darüber hinaus ist es wichtig, unser erhöhtes Bedürfnis nach Schlaf zu beachten. Zusätzlich stärkt Bewegung an der frischen Luft die Abwehrkräfte und hält die Schleimhäute feucht und widerstandsfähig. Wir sollten jeden Sonnenstrahl als Kraftquelle für Körper und Seele genießen. Damit die Haut durch das Winterklima und Heizungsluft nicht austrocknet, sind Ölbäder und -massagen gut geeignet. Am besten mit warmem Sesamöl oder Ghee, eventuell ergänzt um durchblutungsfördernde Zusätze wie Rosmarin.

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