Zukunftsangst – Klarkommen mit Krisen

Erst Corona, dann Krieg und jetzt Naturkatastrophen… Die Welt – ein unsicherer Ort? Wenn schlechte Nachrichten nicht abreißen und die Sorgen wie ein Schneeball immer größer werden, dann brauchen wir einen starken Halt – wo finden wir den?

Stefanie Happ hat für uns Professor Dr. Gustav Dobos, Facharzt für Innere Medizin und Wegbereiter der wissenschaftsbasierten Naturheilkunde, gefragt. Er hat Antworten für die Seele.

Herr Professor Dobos, kaum hatte sich die Pandemie-Lage endlich etwas entspannt, brach der Krieg in Europa aus. Was macht es mit uns, dass wir offenbar von einer Katastrophe in die nächste schlittern?

Nach diesen zwei Pandemiejahren mit all ihren Risiken, Sorgen und Unsicherheiten sind wir dünnhäutig geworden. Wir hatten gehofft, allmählich zu einer Art Normalität zurückkehren zu können. Daraus wurde vorerst nichts. Der Krieg vor unseren Türen (und auch Naturkatastrophen) treffen uns deshalb doppelt und wirft uns in eine noch größere Unsicherheit zurück.

Wie wirkt sich diese Zukunftsangst auf Körper und Seele aus?

Angst und Unsicherheit zerren an unseren Nerven, belasten dabei den Magen und das Herz, lassen außerdem den Blutdruck steigen. Viele Menschen schlafen gerade sehr schlecht. Das Gedankenkarussell im Kopf steht nicht still. Da fragt man sich: Was könnte noch alles passieren? Existenzielle Furcht ist im innersten und ältesten Kern unseres Gehirns angesiedelt – im limbischen System, genauer gesagt in der Amygdala. Bedrohungen setzen dort ein regelrechtes Gewitter an Botenstoffen frei, das tausendmal schneller als unsere Gedanken ist. Die Evolution hat dies genau so eingerichtet: Wer einem Tiger (oder wie in diesem Fall einem russischen Bären) begegnet, hat nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, wie er als Nächstes reagieren soll: Flucht oder Verteidigung? Zudem sind wir den Atommächten ausgeliefert und müssen vieles, was in der Welt geschieht, hilflos mitansehen. Natürlich machen all diese Umstände Angst.

Warum haben die einen mehr Zukunftsängste als andere und können mit all den schlechten Nachrichten weniger gut umgehen?

Die Grundlagen für innere Stabilität werden in der Kindheit gelegt, durch die Bindung an die Eltern oder andere wichtige Bezugspersonen. Bereits in dieser frühen Lebensphase werden auch die Botenstoffkreisläufe geprägt – davon hängt ab, wie stark wir uns von den Ereignissen aus der Ruhe bringen lassen. Wie gut ist das individuelle Urvertrauen? Aus Studien zu Überlebenden aus den KZs der Nazizeit wissen wir, dass Menschen, die nachvollziehen können, warum Dinge passieren, die sich selbst einen gewissen Handlungsspielraum bewahren und die innere Werte haben, an denen sie festhalten, weniger Blessuren und Traumata erlitten haben und letztlich auch gesünder geblieben sind als andere, die unter denselben unmenschlichen Strukturen leiden mussten.

Was hilft, wenn die Angst vor der Zukunft überhandnimmt und sich in den eigenen Gedanken ein Worst-Case-Szenario abspielt?

Zunächst einmal sollte man sich bewusst machen, in welchen Gedankenschleifen man sich bewegt und wodurch sie ausgelöst wurden. Es lässt sich lernen, sie als Produkte unseres Gehirns zu verstehen, die sich von der Realität unterscheiden. Wenn man sich die Geschehnisse schlimmer ausmalt, als sie in Wirklichkeit sind, können Achtsamkeitsübungen hilfreich sein. Meditationen können zwar die Welt nicht verändern – jedenfalls nicht kurzfristig –, aber sie tragen dazu bei, dass wir einen inneren Abstand von den Ereignissen bekommen, auf die wir keinen Einfluss haben.

Manche Psychologen sprechen im Zusammenhang mit Krisenbewältigung von der Stärkung der eigenen Kohärenz. Was bedeutet das?

Kohärenz ist ein Begriff, den der Soziologe Aaron Antonovsky geprägt hat. Er hat unter anderem die erwähnten Studien zu KZ-Überlebenden gemacht. Mit Kohärenz meinte er das Zusammenspiel von Verstehen, Handlungsbereitschaft und Sinnfindung als Basis für Gesundheit. Er betrachtete Gesundheit nicht als Zustand, in dem alle Übel abwesend sind, sondern verstand darunter vielmehr die Fähigkeit, mit Belastungen umgehen zu können. Daraus entwickelte er eine Theorie zu der Frage, was uns gesund macht und gesund hält: die Salutogenese. Dies ist ein wichtiger Teil der Resilienz, die uns dazu befähigt, schwere Lebensumstände ohne dauerhafte Beeinträchtigung zu überstehen. Sie ist die Kunst, aus den Strudeln des Lebens heraus eine neue Balance zu finden, meist auf einer anderen Ebene als zuvor und oft mit Gewinn.

Lässt sich Resilienz lernen – auch noch später im Erwachsenenalter?

Resilienz lässt sich trainieren wie ein Muskel – ein Leben lang. Wir können zum Beispiel Meditation lernen, Bewegungsformen wie Yoga oder Qigong und uns regelmäßig darin üben. Besonders wichtig sind aber auch soziale Unterstützung, Liebe und spirituelle Werte. Die Forschung zeigt, dass der Glaube an eine Sache oder eine Instanz, die größer ist als man selbst, Resilienz fördert. Wir können uns bemühen, solche Ideale zu pflegen, besonders nach der Pandemiezeit, um uns seelisch stark zu machen für das, was kommt.

Wie reagieren Menschen auf die momentane Weltlage, die eine starke Resilienz haben? Sind dies diejenigen, die sich engagieren, die humanitäre Hilfe leisten und vor Ort zur Stelle sind?

So pauschal kann man das nicht sagen. Es gibt Menschen, die deshalb zu Helfern bei anderen werden, weil sie mit ihrem eigenen Leben nur schwer zurechtkommen. Es gibt aber auch mutige, empathische Menschen, die im Helfen eine Aufgabe der Welt sehen. Auf jeden Fall haben sie große Anerkennung verdient.


Resilienz – Unser seelischer Schutzmantel

Aufstehen, Krone richten, weitergehen. So funktioniert Resilienz. Hinter diesem doch recht sperrigen Begriff verbirgt sich die psychische Widerstandskraft, die wir brauchen, um mit den Belastungen des Lebens gut fertigzuwerden und bestenfalls an diesen Herausforderungen sogar noch zu wachsen. Resiliente Menschen sind ein Fels in der Brandung. Sie gehen durch die tiefen Täler, die sich manchmal kaum vermeiden lassen, tun dabei das, was getan werden muss, und kommen stärker denn je aus der Krise wieder heraus. Ob Krankheit, Jobverlust oder eine gescheiterte Beziehung – Schicksalsschläge haben viele Gesichter. Sie zu verarbeiten und wie Phönix aus der Asche wiederaufzustehen, ist nicht einfach eine Gabe, die wir haben oder nicht. Wir können uns einen seelischen Schutzmantel anlegen – in jedem Alter.

Wir haben hier im Blog noch einige lesenswerten Artikel zum Thema Resilienz.

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Text mit freundlicher Genehmigung der S & D Verlag GmbH. Das komplette „Naturheilkunde & Gesundheit“ Heft bekommen Sie auch bei uns in der Apotheke.